Zwiefach-Melodien: Unterschied zwischen den Versionen

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Erstaunlich ist, dass mehrere "bayrische" Zwiefacher-Melodien auch in anderen deutschen Landschaften und sogar im Ausland bekannt sind, dort aber ausnahmslos in regelmäßigen Taktarten. Es scheint tatsächlich so, dass fremde Musikstücke nachträglich in bayrischer Hand "verzwiefacht" worden sind. Beispiele:
Erstaunlich ist, dass mehrere "bayrische" Zwiefacher-Melodien auch in anderen deutschen Landschaften und sogar im Ausland bekannt sind, dort aber ausnahmslos in regelmäßigen Taktarten. Es scheint tatsächlich so, dass fremde Musikstücke nachträglich in bayrischer Hand "verzwiefacht" worden sind. Beispiele:
*''Simmernmagd z´Haigendorf'' (Schmidmühlen/Oberpfalz, Sammlung Hörburger) = ''Dat du min Leevsten büst'' (aus Hörburger, Die Zwiefachen)
*''[[Simmernmagd_z'Haigendorf]]'' (Schmidmühlen/Oberpfalz, Sammlung Hörburger) = ''Dat du min Leevsten büst'' (aus Hörburger, Die Zwiefachen)
*''[[Sommermichl]] / Zipflmichl'' = ''Buernhochtid'' (Fassung aus Kolberg (heute Kolobrzeg/Polen))
*''[[Sommermichl]] / Zipflmichl'' = ''Buernhochtid'' (Fassung aus Kolberg (heute Kolobrzeg/Polen))
*''[[Juchhe frischauf]]'' = ''Wer jagen will muß früh aufstehn'' (Pfalz; Musik im Leben Band 1)
*''[[Juchhe frischauf]]'' = ''Wer jagen will muß früh aufstehn'' (Pfalz; Musik im Leben Band 1)

Version vom 4. September 2012, 16:47 Uhr

Kurzversion

Es gibt etliche Melodien, die in Bayern als Zwiefache gespielt und getanzt werden, die in anderen Gegenden in normalem, regelmäßigem Rhythmus ebenfalls aufgezeichnet wurden oder aus klassischen Melodien stammen. Ihr Ursprung geht oft weit zurück, teilweise bis 1570.

Einleitung

Alpenfrauchen hat in WikipediaThesen über die Herkunft von Zwiefach-Melodien eingefügt, die nicht zu den Wikipedia-Richtlinien passen und daher dort gelöscht werden müssen. Ich habe diese Thesen hierher übertragen, um die Möglichkeit der Diskussion darüber aufrecht zu erhalten.

 Die eingerahmten Kommentare stammen von Franz Fuchs.

Ich zitiere

Historisches

Angeblich entstanden die ersten Zwiefachen in der Zeit vor der Erfindung des Taktstriches. In Lautenbüchern aus dem 16. Jahrhundert sind Musikstücke mit Taktwechseln in der Art des Zwiefachen überliefert. Ob dazu auch getanzt wurde, ist nicht bekannt. Da das Besondere beim Zwiefachen die Verbindung Taktwechsel-Schrittwechsel ist, können diese Formen eigentlich noch nicht als Zwiefache bezeichnet werden.

Wichtig ist also die Verbindung geschlossener Rundtanz mit Schrittwechsel - taktwechselnde Melodie. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)

Wenige Archivfunde lassen auf sein Alter schließen. Im Stadtarchiv Amberg liegt eine um 1730 datierte Musikhandschrift, die einen reinrassigen Zwiefachen enthält (Mandora-Tabulatur, Parthia 3tia, Titel Aria). Der Name taucht 1780 das erste Mal auf: In einem Gerichtsprotokoll des Hofmarkrichters in Wolfersdorf (Hallertau) heißt es: „Diese Tanzart wird unter dem Bauernvolk das ‚zwyfach Danzen‘ genannt“ (Staatsarchiv für Oberbayern, Briefprotokolle Moosburg Nr. 646). Vier Bauernburschen hatten am 12. November 1780 das Tanzverbot missachtet und sich „erfrecht [...], in der hiesigen Wirtstafern am 12. November 1780 unanständig und ärgerlich zu tanzen und die Füße mit den der Weibsbilder ihrigen durcheinander zu schlingen“. Ob damals nur zu zwyen, also paarweise getanzt wurde, oder tatsächlich Zwiefach getanzt wurde, bleibt verborgen.

Johann Andreas Schmeller spricht in seinem 1827 veröffentlichten Bayerischen Wörterbuch vom „Zwifach tanzen, d. h. nach der älteren bayerischen Manier, deren Musikweise im bekannten Volksliede der Nagelschmied nachgeahmt und ausgedrückt ist“ . Der Naglschmied ist heute noch ein beliebter Zwiefacher, daher ist damit das erste Mal der Zwiefache nachgewiesen, und zwar für die Zeit 'älter als 1827'.

Mit großer Wahrscheinlichkeit entstand der Zwiefache in der Zeit, die auch Walzer und Polka hervorgebracht hat.

Erstaunlich ist, dass mehrere "bayrische" Zwiefacher-Melodien auch in anderen deutschen Landschaften und sogar im Ausland bekannt sind, dort aber ausnahmslos in regelmäßigen Taktarten. Es scheint tatsächlich so, dass fremde Musikstücke nachträglich in bayrischer Hand "verzwiefacht" worden sind. Beispiele:

  • Simmernmagd_z'Haigendorf (Schmidmühlen/Oberpfalz, Sammlung Hörburger) = Dat du min Leevsten büst (aus Hörburger, Die Zwiefachen)
  • Sommermichl / Zipflmichl = Buernhochtid (Fassung aus Kolberg (heute Kolobrzeg/Polen))
  • Juchhe frischauf = Wer jagen will muß früh aufstehn (Pfalz; Musik im Leben Band 1)
  • Aber d´Ochsen treib i net aus = mindestens 1.Teil Le Carillon de Dunkerque (Paris 1768 - Original in Paris, Bibliothéque nationale - und in "De Nieuwe Hollandtsche Schouwburgh, Amsterdam ca. 1771; ebenso als Teile 3 und 4 seit 1792 "Thüringer Volkstanz" Rühler Springer Dancilla-Video 0:56 bis 1:50, danach Wiederholungen)
  • Anfang Eisenkeilnest = Driekusman Paloina dutch program von 0:28 bis 1:06 (Niederlande, dort zahlreiche weitere Beispiele bis 1614 zurückgehend). Angeblich sollen Flößer aus dem Bayrischen Wald bis nach Amsterdam gekommen sein und dort ihr Holz verkauft haben, was mehrere Dubletten mit niederländischen Titeln erklären könnte.
Der Driekusman ist eine Fingerpolka ähnlich unserem Voglstiehl, der ja irgendwann Gesellschaftstanz war.
Eine Ähnlichkeit mit dem Eisenkeilnest ist mir nicht aufgefallen. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • Schaufelstiel 1.Teil = Tantoli (Dänemark), ebenso Anfang des Le Canarie (Praetorius, Terpsichore (1612), Nr. XXXI.
  • Sechs Löffel 2.Teil = Bransle des Sabots (Arbeau, Orchésiographie, 1589 <ref>Branle des Sabots - Ballo Anglese</ref> bis 0:50; ORCHESOGRAPHIE Faksimile der Originalseite; nochmal unter Gavotte #3 bei Praetorius, Terpsichore (1612), im großen Konglomerat Nr.I)
  • Saulocker 1.Hälfte des 2.Teils = Teil von Dabrowskis Mazurka (Mazurek Dabrowskiego), 1797 entstanden, aktuelle Nationalhymne von Polen und ehemalige von Jugoslawien; Hymne von 0:18 bis 0:25 mit Wiederholungen
  • Anfang Arschloch von Leinsiedl / Bäurin von der Hoi / Wenn i mein Dirndl zum tanzen nimm = Anfang der Spagnoletta. (Die mutmaßliche Vorlage ist einer der größten Hits der Renaissance überhaupt mit einer Wirkung bis heute. Ursprünglich ein namenloses Stück von Claude Gervaise, Sixième Livre de Danceries, Paris 1555; Gaillarde Gervaise. Erweitert und unter dem Namen 'Spagnoletta' zuerst im Mulliner Book vor 1570, dann Fassungen praktisch aller großer Komponisten dieser Zeit (Byrd, Farnaby, Caroso, Besard, Praetorius; viele YouTube-Videos !). Im 20. Jh. sinfonische Fassungen von Ottorino Respighi (Siciliana) und Joaquin Rodrigo (Fantasia por un Gentilhombre), zum Schluss sogar mit neuem Text im Musical 'Tanz der Vampire' ab 2:16 Tanz der Vampire. Dass ein Stück mit solch einer Wirkungsgeschichte auch im Volkstanz auftaucht, braucht nun wirklich niemanden zu verwundern. Eher schon das Gegenteil...
Bitte nur Quellen einfügen, die tatsächlich verfügbar sind. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
Auch hier ist für mich die Ähnlichkeit nicht überwältigend. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)

Die letzten Beispiele sind nachweislich Stücke, auf die in der Renaissance getanzt worden ist.

Aber wohl nicht in der Art, in der Zwiefache heute getanzt werden, die 1780 (siehe oben) als unanständig galt,
in geschlossener paarweiser Haltung und Rundtanz.
Daher können sie (laut Sänger&Musikantenzeitung 48/2) auch nicht als Zwiefache bezeichnet werden.
Interessant ist trotzdem das hohe Alter und die weite Verbreitung der Melodien. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)

Besonders alte Zwiefacher-Melodien (vor 1600)

Dies ist tatsächlich eine dem Zwiefachen verdächtig ähnliche Tanzausführung. Es ist auch bekannt,
dass die Tschechen Zwiefache besitzen. Aber warum soll diese Melodie "vor 1600" stammen? --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • Jazeker speelt Gögga 'Göckerl wenns net krahst', bayrischer Zwiefacher, ebenfalls im Renaissance-Typ 6/4+3/2, gespielt von Harmonikaduo Jazeker ("Ja sicher") aus Utrecht. Rainer Jonkheer ist auch in der Band der Volkstanzgruppe "Pieremachochel", mit die #1 in den Niederlanden.
Die beiden spielen einfach einen bayrischen Zwiefachen in Holland, kein Hinweis auf hohes Alter. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • Neun Dörfer. Der fehlt auf keinem Tanzfest in Bayern & Österreich, und ist ein ganz besonders gefährlicher Wolf im Schafspelz. Ausgerechnet Felix Hoerburger fiel ein besonders alter Melodietyp auf, mit Wechsel von 6/4 und 3/2-Takt. 2 Seiten weiter bringt er die 'Neun Dörfer' und merkt gar nicht, dass er das schönste Beispiel dafür vor sich hatte. Diagnose: auswendig gelerntes Lexikonwissen, aber die Anwendung fehlt... Die holen wir jetzt nach, und datieren den Zwiefachen mal vorsichtshalber auf ca. 1550. Ein paar Kollegen kommen im Anschluss...
Das kann ich nicht nachvollziehen. Hoerburger schreibt ausdrücklich zum 'Neun Dörfer': Der einzige tatsächliche 
Unterschied ... ist eben die Tatsache, dass auf die "taktwechselnde" Walzermelodie  n i c h t  e i n g e t r e t e n  
wird. (Felix Hoerburger,Die Zwiefachen, Seite 7) --FFuchs 09:37, 15 June 2010 (UTC)
Bei Johann Strauß gibts ebenfalls jede Menge Hemiolen. Der Hemiolentyp ist tatsächlich uralt, aber doch nicht die 
Melodie. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • Syntagma Musicum. Rodrigo Martínez. Anónimo. und Folia: "Rodrigo Martinez" - c.1490 Auf der Suche nach Vorlagen für die Neun Dörfer kommt dieses ursprünglich portugiesische (?) Lied von ca. 1490 über Rodrigo Martinez in Betracht; ein Witzlied über einen Schafhirt, der gerne Kuhhirt werden wollte. Leider hat SONY ein noch besseres Video mit der Abbildung der Noten sperren lassen. Das Lied muss im 16.Jahrhundert in ganz Europa ein Hit gewesen sein, und das scheinbar Spanische ist der andauernde Wechsel zwischen 6/4 und 3/2-Takt, wie er auch in den Neun Dörfern so typisch ist.
Interessant, dass es 1490 schon Hemiolen gegeben hat, aber wurden sie auch als Zwiefach getanzt?
Und wo ist die Melodieähnlichkeit? --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • Adrian Le Roy - Pimontoyse 'Pimontoyse' von Adrian Le Roy (1520 - 1598), ein typisches Beispiel im 6/4 + 3/2-Takt, aus den oben angesprochenen Lautenbüchern des 16.Jahrhunderts. Der Stil ist derselbe wie in 'Neun Dörfer', die wohl zeitlich nicht weit weg sein dürften.
Siehe oben. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • Anonymous - Jigge - Lute 'Jigge', Anonymus um 1550, in der Fassung des Lautenbuchs von William Ballet, Dublin, 1590er Jahre (aus demselben stammt auch das berühmte Greensleeves) Eine andere, weitaus eindeutigere Fassung im 6/4+3/2-Rhythmus, gespielt von Anthony Rowley, war in den 1990er Jahren Erkennungsmelodie des "Gläsernen Paragraphen" im ARD-Ratgeber Recht.
Also der Rhythmus ist alt, alle haben aber keine Ähnlichkeit mit den Neun Dörfern. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)

Bisher identifizierte Titel im "alten" 6/4 - 3/2 - Renaissance-Typ:

Und die Melodie? Und der Rhythmus? Der hier nicht passt. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)
  • ein bisher unbekannter Zwiefacher aus einer Sendung des ZDF-Sonntagskonzerts aus Amberg, Sendetermin 20.Aug.1989; er wechselt sogar zwischen 4/4 - 6/4 - 3/2 wie frühe evangelische Kirchenlieder des 15. und 16. Jahrhunderts und schlägt die direkte Brücke in diese Zeit
  • Geradezu als Bestätigung für diesen Zeitansatz ist noch die Urfassung des Chorals Nun lasst uns Gott den Herren / Dank sagen und ihn ehren (EG 320) zu nennen. Die Melodie stammt von Nikolaus Selnecker, Leipzig 1587, und hat ebenso exakt dasselbe Rhythmusschema wie Neun Dörfer; man könnte die Melodien geradezu austauschen.
Es gab und gibt also den Hemiolen-Rhythmus, entweder mit Taktwechsel ausgeschrieben oder wie bei Strauß
im 3/4-Takt notiert. Aber hier finde ich keinen einzigen Hinweis für ein hohes Alter der Melodie. --FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)

Beispiele in der Kunstmusik

  • John Bull hat um 1600 unter dem Namen In Nomine (Fitzwilliam Virginal Book, Nr. 119, Breitkopf & Härtel-Ausgabe (Leipzig 1899), Bd.2, S. 34-39) eine regelrechte Zwiefachen-Fuge geschrieben. Die ersten 5 Seiten des Stückes stehen im völlig ungewöhnlichen 11/4-Takt (in regelmäßiger Untergliederung 4-4-3), auf der letzten Seite (S.39) wechselt er in einen Taktwechsel 6/4 - 9/4 über. Durch die äußerst komplizierte Satztechnik sind aber diese Taktwechsel kaum zu bemerken. Siehe [1]
  • Johann Sebastian Bach hat im 4. Brandenburgischen Konzert (BWV 1049, vor 1721) als Thema des 1.Satzes (Allegro) eine Melodie, die eigentlich in einem Taktwechsel 6/4 - 3/2 notiert werden müsste und denselben Rhythmus hat wie einige Zwiefache (z.B. Neun Dörfer). In den gängigen Ausgaben ist der Satz durchgängig im 3/4-Takt notiert, mit Akzenten auf den unregelmäßig betonten Noten. Siehe 4. Brandenburgischen Konzert
  • Leonard Bernsteins berühmter Song I like to be in America aus seinem Musical West Side Story (1957) hat denselben Rhythmus und hat auch die Taktangabe (6/4 + 3/2).

Da alle vorherigen Beispiele nicht als Tanzmusik gedacht waren und auch eher nie dazu Zwiefach getanzt wurde, (siehe oben unter Historisches,) gelten diese Beispiele nicht als Zwiefache.

  • Carl Orff hat in seiner Vertonung der Carmina Burana einen Tanz als Zwiefachen komponiert.
  • Bedřich Smetana hat im zweiten Akt seiner Oper „Die verkaufte Braut“ den Furiant, eine tschechische Variante des Zwiefachen, als Bauerntanz verwendet.
Ich könnte noch viele Beispiele für taktwechselnde Melodien anführen, etwa unseren Prinz-Eugenius-Marsch im 5/4-Takt oder
die aus dem Salzkammergut. Zwiefache sind sie allesamt keine, sondern nur taktwechselnde Melodien.
--FFuchs 17:25, 25 January 2010 (UTC)