Zwiefach-Melodien: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 20. Januar 2010, 17:37 Uhr

User:Alpenfrauchen hat in WikipediaThesen über die Herkunft von Zwiefach-Melodien eingefügt, die nicht zu den Wikipedia-Richtlinien passen und daher dort gelöscht werden müssen. Ich habe diese Thesen hierher übertragen, um die Möglichkeit der Diskussion darüber aufrecht zu erhalten.

Ich zitiere

Historisches

Angeblich entstanden die ersten Zwiefachen in der Zeit vor der Erfindung des Taktstriches. In Lautenbüchern aus dem 16. Jahrhundert sind Musikstücke mit Taktwechseln in der Art des Zwiefachen überliefert. Ob dazu auch getanzt wurde, ist nicht bekannt. Da das Besondere beim Zwiefachen die Verbindung Taktwechsel-Schrittwechsel ist, können diese Formen eigentlich noch nicht als Zwiefache bezeichnet werden.

Wenige Archivfunde lassen auf sein Alter schließen. Im Stadtarchiv Amberg liegt eine um 1730 datierte Musikhandschrift, die einen reinrassigen Zwiefachen enthält (Mandora-Tabulatur, Parthia 3tia, Titel Aria). Der Name taucht 1780 das erste Mal auf: In einem Gerichtsprotokoll des Hofmarkrichters in Wolfersdorf (Hallertau) heißt es: „Diese Tanzart wird unter dem Bauernvolk das ‚zwyfach Danzen‘ genannt“ (Staatsarchiv für Oberbayern, Briefprotokolle Moosburg Nr. 646). Vier Bauernburschen hatten am 12. November 1780 das Tanzverbot missachtet und sich „erfrecht [...], in der hiesigen Wirtstafern am 12. November 1780 unanständig und ärgerlich zu tanzen und die Füße mit den der Weibsbilder ihrigen durcheinander zu schlingen“. Ob damals nur zu zwyen, also paarweise getanzt wurde, oder tatsächlich Zwiefach getanzt wurde, bleibt verborgen.

Johann Andreas Schmeller spricht in seinem 1827 veröffentlichten Bayerischen Wörterbuch vom „Zwifach tanzen, d. h. nach der älteren bayerischen Manier, deren Musikweise im bekannten Volksliede der Nagelschmied nachgeahmt und ausgedrückt ist“ . Der Nagelschmied ist heute noch ein beliebter Zwiefacher, daher ist damit das erste Mal der Zwiefache nachgewiesen, und zwar für die Zeit 'älter als 1827'.

Mit großer Wahrscheinlichkeit entstand der Zwiefache in der Zeit, die auch Walzer und Polka hervorgebracht hat.

Erstaunlich ist, dass mehrere "bayrische" Zwiefacher-Melodien auch in anderen deutschen Landschaften und sogar im Ausland bekannt sind, dort aber ausnahmslos in regelmäßigen Taktarten. Es scheint tatsächlich so, dass fremde Musikstücke nachträglich in bayrischer Hand "verzwiefacht" worden sind. Beispiele:

Simmernmagd z´Haigendorf (Schmidmühlen/Oberpfalz, Sammlung Hörburger) = Dat du min Leevsten büst (aus Hörburger, Die Zwiefachen)

Sommermichl / Zipflmichl = Buernhochtid (Fassung aus Kolberg (heute Kolobrzeg/Polen))

Juchhe frisch auf = Wer jagen will muß früh aufstehn (Pfalz; Musik im Leben Band 1)

Aber d´Ochsen treib i net aus = mindestens 1.Teil Le Carillon de Dunkerque (Paris 1768 - Original in Paris, Bibliothéque nationale - und in "De Nieuwe Hollandtsche Schouwburgh, Amsterdam ca. 1771; ebenso als Teile 3 und 4 seit 1792 "Thüringer Volkstanz" Rühler Springer <ref>[1]</ref> 0:56 bis 1:50, danach Wiederholungen)

Anfang Eisenkeilnest = Driekusman <ref>[2]</ref> von 0:28 bis 1:06 (Niederlande, dort zahlreiche weitere Beispiele bis 1614 zurückgehend). Angeblich sollen Flößer aus dem Bayrischen Wald bis nach Amsterdam gekommen sein und dort ihr Holz verkauft haben, was mehrere Dubletten mit niederländischen Titeln erklären könnte)

Schaufelstiel 1.Teil = Tantoli (Dänemark), ebenso Anfang des Le Canarie (Praetorius, Terpsichore (1612), Nr. XXXI.

Sechs Löffel 2.Teil = Bransle des Sabots (Arbeau, Orchésiographie, 1589 <ref>[3]</ref> bis 0:50; <ref>[4]</ref> Faksimile der Originalseite; nochmal unter Gavotte #3 bei Praetorius, Terpsichore (1612), im großen Konglomerat Nr.I)

Saulocker 1.Hälfte des 2.Teils = Teil von Dabrowskis Mazurka (Mazurek Dabrowskiego), 1797 entstanden, aktuelle Nationalhymne von Polen und ehemalige von Jugoslawien; <ref>[5]</ref> von 0:18 bis 0:25 mit Wiederholungen

Anfang Arschloch von Leinsiedl / Bäurin von der Hoi / Wenn i mein Dirndl zum tanzen nimm = Anfang der Spagnoletta. (Die mutmaßliche Vorlage ist einer der größten Hits der Renaissance überhaupt mit einer Wirkung bis heute. Ursprünglich ein namenloses Stück von Claude Gervaise, Sixième Livre de Danceries, Paris 1555; <ref>Gaillarde Gervaise</ref>. Erweitert und unter dem Namen 'Spagnoletta' zuerst im Mulliner Book vor 1570, dann Fassungen praktisch aller großer Komponisten dieser Zeit (Byrd, Farnaby, Caroso, Besard, Praetorius; viele YouTube-Videos !). Im 20. Jh. sinfonische Fassungen von Ottorino Respighi (Siciliana) und Joaquin Rodrigo (Fantasia por un Gentilhombre), zum Schluß sogar mit neuem Text im Musical 'Tanz der Vampire'. Das ein Stück mit solch einer Wirkungsgeschichte auch im Volkstanz auftaucht, braucht nun wirklich niemanden zu verwundern. Eher schon das Gegenteil...

Anfang Der Wirt vo Stoa (Holledau) = verkürzt aus La Volta (Thomas Morley / William Byrd, [Fitzwilliam Virginal Book] Nr.155; vor 1602)<ref>[6]</ref>.

Die letzten Beispiele sind nachweislich Stücke, auf die in der Renaissance getanzt worden ist.

Besonders alte Zwiefacher-Melodien (vor 1600)

  • <ref>[7]</ref> Auftritt der tschechischen Tanzgruppe "Maly Furiant" in der Bretagne mit Tanzfolge: bis 0:51 tschechischer Zwiefacher im 6/4 + 3/2-Typus der Renaissance; später ein Tanz zu einer verdächtigen Siebenschritt/Bergamasca-Melodie; Abschluß ist die Sternpolka, die in der Tschechischen Republik Doudlebská polka heißt.
  • <ref>[8]</ref> 'Göckerl wenns net krahst', bayrischer Zwiefacher, ebenfalls im Renaissance-Typ 6/4+3/2, gespielt von Harmonikaduo Jazeker ("Ja sicher") aus Utrecht. Rainer Jonkheer ist auch in der Band der Volkstanzgruppe "Pieremachochel", mit die #1 in den Niederlanden.
  • <ref>[9]</ref>. Der fehlt auf keinem Tanzfest in Bayern & Österreich, und ist ein ganz besonders gefährlicher Wolf im Schafspelz. Ausgerechnet Felix Hoerburger fiel ein besonders alter Melodietyp auf, mit Wechsel von 6/4 und 3/2-Takt. 2 Seiten weiter bringt er die 'Neun Dörfer' und merkt gar nicht, dass er das schönste Beispiel dafür vor sich hatte. Diagnose: auswendig gelerntes Lexikonwissen, aber die Anwendung fehlt... Die holen wir jetzt nach, und datieren den Zwiefachen mal vorsichtshalber auf ca.1550. Ein paar Kollegen kommen im Anschluß...
  • <ref>[10] und [11]</ref> Auf der Suche nach Vorlagen für die Neun Dörfer kommt dieses ursprünglich portugiesische (?) Lied von ca. 1490 über Rodrigo Martinez in Betracht; ein Witzlied über einen Schafhirt, der gerne Kuhhirt werden wollte. Leider hat SONY ein noch besseres Video mit der Abbildung der Noten sperren lassen. Das Lied muß im 16.Jahrhundert in ganz Europa ein Hit gewesen sein, und das scheinbar Spanische ist der andauernde Wechsel zwischen 6/4 und 3/2-Takt, wie er auch in den Neun Dörfern so typisch ist.
  • <ref>[12]</ref> 'Pimontoyse' von Adrian Le Roy (1520 - 1598), ein typisches Beispiel im 6/4 + 3/2-Takt, aus den oben angesprochenen Lautenbüchern des 16.Jahrhunderts. Der Stil ist derselbe wie in 'Neun Döerfer', die wohl zeitlich nicht weit weg sein dürften...
  • <ref>[13]</ref> 'Jigge', Anonymus um 1550, in der Fassung des Lautenbuchs von William Ballet, Dublin, 1590er Jahre (aus demselben stammt auch das berühmte Greensleeves) Eine andere, weitaus eindeutigere Fassung im 6/4+3/2-Rhythmus, gespielt von Anthony Rowley, war in den 1990er Jahren Erkennungsmelodie des "Gläsernen Paragraphen" im ARD-Ratgeber Recht.

Bisher identifizierte Titel im "alten" 6/4 - 3/2 - Renaissance-Typ:

  • Neun Dörfer (Bayern)
  • Gickerl wenns net krahst (Bayern, Fassung der MC/CD von Uli Stahl und seinen Musikanten)
  • Nagelschmied(s.oben)
  • Oachl-Ober (Bayern; von Michl Eberwein sen. neu vertextet und als Schneider-Zwiefacher im Umlauf)
  • Mein Schatz isch kreideweiss (Schwarzwald);
  • Italiener (<ref>[14]</ref>; Name nach einem nicht identifizierten Stück aus der Venezianischen Schule um 1600 ?)
  • ein bisher unbekannter Zwiefacher aus einer Sendung des ZDF-Sonntagskonzerts aus Amberg, Sendetermin 20.Aug.1989; er wechselt sogar zwischen 4/4 - 6/4 - 3/2 wie frühe evangelische Kirchenlieder des 15. und 16. Jahrhunderts und schlägt die direkte Brücke in diese Zeit
  • Geradezu als Bestätigung für diesen Zeitansatz ist noch die Urfassung des Chorals Nun laßt uns Gott den Herren / Dank sagen und ihn ehren (EG 320) zu nennen. Die Melodie stammt von Nikolaus Selnecker, Leipzig 1587, und hat ebenso exakt dasselbe Rhythmusschema wie Neun Dörfer; man könnte die Melodien geradezu austauschen.

Beispiele in der Kunstmusik

  • John Bull hat um 1600 unter dem Namen In Nomine (Fitzwilliam Virginal Book, Nr. 119, Breitkopf & Härtel-Ausgabe (Leipzig 1899), Bd.2, S. 34-39) eine regelrechte Zwiefachen-Fuge geschrieben. Die ersten 5 Seiten des Stückes stehen im völlig ungewöhnlichen 11/4-Takt (in regelmäßiger Untergliederung 4-4-3), auf der letzten Seite (S.39) wechselt er in einen Taktwechsel 6/4 - 9/4 über. Durch die äußerst komplizierte Satztechnik sind aber diese Taktwechsel kaum zu bemerken. Siehe <ref>[15]</ref>
  • Johann Sebastian Bach hat im 4. Brandenburgischen Konzert (BWV 1049, vor 1721) als Thema des 1.Satzes (Allegro) eine Melodie, die eigentlich in einem Taktwechsel 6/4 - 3/2 notiert werden müsste und denselben Rhythmus hat wie einige Zwiefache (z.B. Neun Dörfer). In den gängigen Ausgaben ist der Satz durchgängig im 3/4-Takt notiert, mit Akzenten auf den unregelmäßig betonten Noten.

Siehe <ref>[16]</ref>

Da alle vorherigen Beispiele nicht als Tanzmusik gedacht waren und auch eher nie dazu Zwiefach getanzt wurde, (siehe oben unter Historisches,) gelten diese Beispiele nicht als Zwiefache.