Volkstanz im Internet 31

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Februar 2023

Ich frage mich schon lange: Was bedeutet das Wort Volkstanz?

Was Tanz bedeutet, ist mir ja klar, aber was bedeutet die Vorsilbe „Volks-“, die ja auch im Volkslied, in der Volksmusik und in etlichen anderen vergleichbaren Zusammensetzungen vorkommt? Es gibt dazu unzählige Definitionen, je nachdem, ob man sich dem Begriff von der wissenschaftlichen, von der nationalen, von der politischen oder von diversen persönlichen Seiten nähert. Auch die Wissenschaftler, die es ja eigentlich wissen sollten, sind sich da so gar nicht einig. Vor etlichen Jahren schon schrieb ich von den Extremansichten der Wissenschaft in meinem Artikel Alpenländische Volksmusik, Versuch einer Definition – bitte dort nachlesen.

Sie merken auch dort gleich, niemand definiert wirklich, was „das Volk“ eigentlich ist, das im Wort Volkstanz steckt, das angeblich Volksmusik und Volkstanz seit Urzeiten pflegt oder überliefert hat. Sind das die einfachen (primitiven) Grundschichten im Volk, womöglich nur in angeblich unzugänglichen Alpentälern? Ist es die germanische (deutsche, österreichische, waldviertler, sonstige) Volksgemeinschaft? Ist damit unsere Nation gemeint? Und welche ist eigentlich „unsere“ Nation? Was ist mit dem Wort „Volk“, das wir alle in einigen Zusammenhängen verwenden, ohne es zu hinterfragen, eigentlich gemeint?

Nach meiner Überzeugung hat die Vorsilbe „Volks-“ in beliebigem Zusammenhang meist überhaupt nichts mit irgendeinem Volks- oder Nationalbegriff zu tun, vor allem nichts mit Nationalismus. Besonders die angeblich tradierten Tänze, also unsere Volkstänze, sind großteils Gesellschaftstänze, Modetänze aus vergangenen Jahrhunderten, oft aus ganz Europa, die sich halt im Landvolk länger gehalten haben, als sie in den Städten modern waren. Aber nicht nur im Landvolk, das wäre schon wieder so eine hinterfragenswürdige Behauptung; ich sehe ja bei mir selbst als Stadtbewohner, dass ich Schlager aus meiner Jugend fehlerlos mitsingen könnte, obwohl ich sie mir nie bewusst angehört habe. Ist das schon Tradition? Und auch bei den Melodien und Liedern merke ich immer mehr, wie viele davon bekannte Urheber (Komponisten) haben oder vor vielleicht hundert oder hundertfünfzig Jahren einfach Schlagermusik waren – wie man heute sagen würde. Bei allen werden wir es wohl nicht mehr feststellen können, aber bei ziemlich vielen ist das doch schon bekannt.

Der Artikel „Volk – Völker – am Völkersten?“ von Katharina Pecher-Havers im Fröhlichen Kreis 3/2022 geht mir nicht aus dem Sinn, an den möchte ich anknüpfen. Dort las ich zum ersten Mal, was Volkstanz, dieses vieldeutige Wort, in der heutigen Zeit bedeuten könnte. Und das deckt sich zum großen Teil mit dem, was ich lang vorher schon fühlte, vielleicht schon wusste, aber nie definierte.

Ich kopiere die Kernaussage hier noch einmal, da sie mir wichtig ist und auch, damit Sie nicht noch einmal im Internet oder in Ihrem Zeitungsstapel nachschlagen müssen:

Die Vorsilbe „volks-“ bedeutet in Verbindung mit einer kulturellen Praxis in erster Linie Zugänglichkeit. Was volksgemäß ist, kann von jedermann (auch jederfrau und sogar jedemkind!) erlernt werden, es ist nicht elitär, nicht einer kleinen Gruppe von speziell Privilegierten vorbehalten. Gegenbegriffe sind beispielsweise „Kunst“ oder „Konzert“, also Exklusives: Volkslied – Kunstlied, Volksharfe – Konzertharfe etc. Das Gegenstück zum Volkswagen ist die teure Limousine, das Volkstheater hat sich deswegen entwickelt, weil die „Musentempel“ nicht jedem offenstanden. Auch wenn man einen Gegenbegriff zu Volkstanz sucht, ist man bald bei exklusiven Praktiken wie Turniertanz, Ballett oder ähnlichem, denn auch die zugänglichen Standardtänze sind aus Bewegungsmustern der Volkstänze abgeleitet. Volkskultur schließt nicht aus, sondern lädt zum Mittun ein. Volkstanz ist, um einen derzeit modischen Begriff zu gebrauchen, partizipativ.

Volkstanz (und Volkslied, Volksmusik usw.) ist also etwas, wo jeder mitmachen kann, vielleicht sogar mitmachen sollte. Das Wort „Volk“ bedeutet auf einmal nicht mehr Staatsvolk oder Nation mit allen ausgrenzenden Nebenbedeutungen, sondern es bedeutet einfach „Allgemeinheit“ oder Mitmachmöglichkeit.

Und in diesem Sinn ist das Wort Volksmusik überhaupt nicht mehr "ein historisch ererbter Begriff, den man aus praktischen Gründen stehn lässt" (Gerlinde Haid). Mit diesem Hintergrund ist die Vorsilbe „Volks-“, ist auch unser geliebter Volkstanz auf einmal sehr modern.

Ich freue mich über Rückmeldungen, vor allem auch über Anregungen.

Franz Fuchs

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