Ursprung Boarischer

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Hauptartikel Boarisch

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Kurzversion

Melodie und Rhythmus vieler Boarisch-Melodien könnten von einer Bouree des Michael Praetorius (1571 - 1621) stammen.

Der Tanz hat keine festgelegte Tanzform, sondern war in der Überlieferung, ist es heute oft wieder, ein "Freistiltanz", in dem jedes Paar seine eigenen Figuren tanzte.

Boarisch-Rhythmus

In Österreichischer Tradition hat der Boarische, die Bayrisch-Polka eine einfaches, zweiteiliges Rhythmus-Schema:

1-2-3-und-1-2-3-und-
1-2-3-4-5-6-7-und-
Das "und" kann bedeuten: eine Pause, einen Auftakt mit 2 Sechzehnteln, eine Pause und einen Auftakt mit je 1 Sechzehntel-Wert,
die zweite Zeile kann aus 7 gleichförmigen Achtelnoten oder aus entsprechend mehr Sechzehntelnoten bestehen.

Dieses Schema passt auch genau zur häufigsten Tanzform:

Wechselschritt, Wechselschritt,
Drehen mit 4 Schritten

Ein gutes Beispiel für diesen Rhythmus ist der weiter unten im Video der Südtiroler Volkstanzgruppe gespielte Südtiroler Boarische. Jedenfalls hat bei jeder überlieferten Boarisch-Melodie die erste Zeile einen etwas anderen Rhythmus als die zweite Zeile. Bei manchen alten, besonders aber bei neu komponierten Boarischen, die also nicht aus der Tradition schöpfen, verwischt sich oft dieser Unterschied.

Dagegen hat die Bourree des Praetorius einen wohl ähnlichen, aber doch wesentlich anderen Rhythmus:

1-2-3-und-1-2-3-und-
1-2-3-und-1-2-3-und-
1-2-3-und-1----und-

Der Grundrhythmus passt tatsächlich gut zum Boarischen, allerdings hat sie nicht 4 Takte, sondern 6 Takte, ist daher zum Boarisch-Tanzen nicht geeignet. Und die zweite Zeile hat den genau gleichen Rhythmus wie die erste Zeile, im Prinzip auch die dritte Zeile, jedoch mit einem anderen Schluss.

Videos zur Melodieherkunft

Das ist der Boarische eigentlich: ein Freistiltanz, in dem jedes Paar seine eigenen Figuren tanzt. Von Haus aus hat er keine festgelegte Choreografie, sondern die einzelnen Figuren werden aus dem Augenblick heraus improvisiert. So sieht man es auch bei öffentlichen Volkstanzfesten - und erstaunlicherweise sogar im Musikantenstadl aus Tulln vom 14. April 1983. Bei Auftritten werden nur feste Figurenfolgen gezeigt, oft noch mit Schuhplattler, Landler und "Dirndldrehen" angereichert. So ist dieses Video durchaus eine Seltenheit, die Zillertaler Schürzenjäger waren damals noch eine nur regional bekannte traditionelle Volksmusikgruppe. Vier Jahre später machten sie den Zillertaler Hochzeitsmarsch, auch ein Traditional, zum Welthit und wechselten voll ins Schlagergeschäft über.

Einer der vielen neuen Boarischen, die in den letzten Jahrzehnten wie Pilze aus dem Boden schießen, und zwar aus beiden ach so unverträglichen Lagern, der "tradierten ("echten") Volksmusik" und der "volkstümlichen Musik". Dabei wird aber übersehen, dass die meisten Stücke der "Echten" auch Neukompositionen sind, wie eben der Christl-Boarischer im Musikantenstadl von Linz/Donau, 4. Februar 1989. Sauber getanzt von einer traditionellen Gruppe aus Thaur, direkt am Stadtrand von Innsbruck, in Tiroler Tracht, aber warum die Schaueinlage, einer Frau unter den Rock zu gucken?

Typisch ist die Kameraführung im Musikantenstadl: immer wieder Schwenks zur Band oder ins Publikum und nur langsame Fahrten zurück zu den Tänzern. So fehlen immer wieder Tanzsequenzen von 10 Sekunden Länge, die auch durch Rekonstruktion aus Wiederholungen nicht zu ergänzen sind. Hier hält sich das noch im Rahmen, aber bei den jüngeren Produktionen mit der Trachtengruppe Hauser aus St.Johann in Tirol, die seit 20 Jahren geradezu zur Stammbelegschaft des Musikantenstadls gehören, ist ein Nachtanzen unmöglich. Besonders abschreckend ist der Rucksack-Boarische aus der Sendung vom 13.3.2010 in Garmisch-Partenkirchen.

Der muss wohl ganz besonders gefallen haben, denn YouTube verzeichnet fast als 127.000 Aufrufe - für eine Folkloredarbietung ungewöhnlich viel, obwohl die Musiker eher der volkstümlichen Richtung zuzurechnen sind. Aufgenommen ist das Ganze vor einem historischen Bauernhof am Achensee. Eine Nutzerin in Paris kann den Musiktitel nicht verstehen und zettelt eine kleine Diskussion an. Hätte sie gewusst, was jemand aus eben diesem Paris vor 400 Jahren nach Wolfenbüttel mitgebracht hat, dann würde sie aber gehörig staunen. Denn obwohl auch die Musik modern ist, hat sie das klassische Rhythmus-Schema: Auftakt mit zwei Achteln, dann zwei Takte aus lauter Viertelnoten. Und das ist, wird 2012 eben 400 Jahre alt, und fast hat man den Eindruck, seit 400 Jahren wird immer wieder dasselbe Stück in tausend Variationen gespielt.

Und das ist das perfekte Gegenstück dazu: 23 Aufrufe in 2 Jahren, davon dürften etwa 10 von mir alleine sein, denn zu diesen Leuten habe ich ein ganz besonderes Verhältnis. Das dürfte wohl Minusrekord bei YouTube sein, und die anderen 35 Videos desselben Nutzers haben auch nicht viel mehr Aufrufe. Wer um alles in der Welt guckt sich sowas an, dazu noch so liederlich beschrieben.

Wohl ein alter Boarischer, getanzt von der Volkstanzgruppe Untermais auf der rückwärtigen Terrasse des Meraner Kurhauses, nach dem Festzug vom Traubenfest 2009. Den Hirschbichlalm Boarischen von den Schürzenjägern kennen sie auch, sie sind damit sogar im ORF aufgetreten, aber das Video dazu [1] ist wegen Urheberproblemen in Deutschland nicht greifbar. (Oder man greift zu www.hidemyass.com und verschleiert die Herkunft...)

Derselbe Boarische nochmal, diesmal von einer Südtiroler Sammelgruppe auf der 2011er Europeade in Tartu/Estland vorgeführt. Die Melodie ist ein altes Traditional aus Südtirol, und die vier Figuren sind dieselben wie in der Untermais-Version oben, aber in anderer Reihenfolge (die erste Untermais-Figur fehlt). Gerade Südtiroler Volkstänzer treten im Ausland häufig als Sammelgruppen verschiedener Volkstanzkreise auf, wie auch auf einer fast gleichzeitigen Veranstaltung bei Paderborn (Jugendfestwoche Wewelsburg 2011). Zu ihren Aktivitäten gehören unter anderem solche "Gemeinschaftproben", die offenbar nötig sind, um bei Auftritten solche Reihenfolgen von Boarischenfiguren abzusprechen.

Und wie bringt man den Leuten einen Boarischen bei? Hier ein Versuch auf dem Münchner Stadtgründungsfest 2009, ein paar Meter hinterm Marienplatz. Solche Szenen hätte man sich während der Kulturhauptstadt RUHR.2010 auf dem Essener Heinz-Rühmann- oder Kennedyplatz wünschen können, aber dafür fehlte das Publikum...

Das ist nun der Kronzeuge: ein Stück, das im Volksmusikarchiv des Bayrischen Rundfunk auch als Nandlstadter Schottisch (nach einem Ort in der Holledau) und als Schottisch Nr.10 (sicher nach einer alten Handschrift) herumliegt und in der Volksmusik auf Bayern 1 aufgetaucht ist. Offensichtlich ist es ein altes Stück, und wieder im selben Rhythmus. Das wäre nichts Besonderes, wenn nicht der Anfang der Melodie praktisch wörtlich mit der Bourree des Michael Praetorius übereinstimmen würde! Der Bandleader selbst konnte nur staunen und eine gute Beobachtung bestätigen. Aber die Frage ist da und ungeklärt: Wie kommt ein Stück von 1612, wenn auch total verändert, auf bayrische Tanzböden?

Na dann hören wir uns das Wunderwerk mal genauer an. Leider gibt es auf YouTube keine einzige Interpretation, die sich direkt an die Noten vom Michael Praetorius (1571 - 1621) hält! Irgendwer muss da immer seinen Senf dazugeben und Verzierungen, Variationen und Oberstimmen dazu schreiben. Dabei wirkt das Stück gerade durch seinen geradezu harten, schnörkellosen Satz - Hardrock und Heavy Metal der Renaissance!

Hier bitte ganz fest aufs Video klicken, damit es sich in einem eigenen Fenster öffnet und die Kommentare sichtbar werden. Die Diskussion, die hier laufen soll, ist nämlich vor einem Jahr schon mal im internationalen Maßstab unter Renaissanceexperten gelaufen, und das braucht man den Lesern hier nicht vorzuenthalten. Sonst ist das Stück viel zu schnell gespielt!